Menschen am Ende ihres Lebens begleiten, einen würdigen Abschied ermöglichen, da zu sein – dieser Aufgabe widmen sich die haupt- und ehrenamtlichen Malteser, die im Ambulanten Hospizdienst wirken. Manchmal ist es ihnen möglich, einen besonderen, letzten Wunsch zu erfüllen. Lena Zellmann, Koordinatorin im Ambulanten Hospizdienst, hat einen solchen Moment zum ersten Mal erlebt. Ihre Geschichte.
Am Dienstagvormittag erreichte mich ein Anruf. Ein Ehrenamtlicher, der einen Mann in einem Erfurter Pflegeheim begleitet, ist am anderen Ende. Er berichtete mir von seinen bisherigen Besuchen, von ihren Gesprächen, aber auch vom immer schlechter werdenden Zustand von Herrn P. Auch ich kenne ihn schon eine Weile, habe ihm die Arbeit des Hospizdienstes im Krankenhaus vorgestellt und er wünschte sich sehr eine Begleitung.
Neben einigen Freunden hat er noch seine Frau. Die aber ist an einer Schizophrenie erkrankt und wohnt nicht in Erfurt. Meine Gespräche mit Herrn P. waren unglaublich interessant. Dabei ist er immer sehr aufgeschlossen und dankbar gewesen. Aber auch reflektiert. Genau so waren auch die Gespräche zwischen dem Ehrenamtlichen und Herrn P. In einem davon wünschte er sich, noch einmal seine Frau sehen zu können. Von seiner Krebsdiagnose oder seinem Zustand wusste sie nicht. Die beiden haben sich zwei Jahre nicht sehen können. So erreichte mich die Anfrage, ob es möglich sei, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.
Nach vielen Telefonaten und der Unterstützung sehr hilfsbereiter Mitarbeitender konnten wir, der Fahrer des Herzenswunsch-Krankenwagens und ich, Herrn P. an einem Freitagvormittag um 10 Uhr am Pflegeheim abholen. Er war sichtlich nervös und sehr schwach. Gemeinsam entschieden wir, dass er liegend transportiert wird. Das zauberte ihm eine gewisse Erleichterung ins Gesicht.
Während der Fahrt saß ich bei Herrn P. Als wir durch die Innenstadt Erfurts und am Dom vorbeifuhren, wirkte es, als verabschiede sich der gebürtige Erfurter bedächtig von allem. Wir schwiegen mehr als alles andere, was er kommentierte mit: „Sie wissen, dass ich sonst gesprächiger bin.“ Er war wirklich angespannt. Schon die ganze Woche hätte er sich den Kopf zerbrochen, wie seine Frau reagieren würde. Bei einer Schizophrenie ist das nie absehbar. Dabei klammerte er sich an sein mitgenommenes Bier. Ein Laster, das er nie habe ablegen können.
Als der Fahrer auf die Autobahn fuhr, lachte Herr P. und sagte: „Jetzt gibt er ihm aber die Sporen!“ Genauso humorvoll habe ich Herrn P. kennengelernt. Wir konnten das Schweigen beide gut aushalten. Sein zweites Laster, das Rauchen, konnte Herr P. auch nicht ablegen. Er bat deshalb, an einer Tankstelle zu halten, um Zigaretten zu besorgen. Auch diesen Wunsch konnten wir erfüllen.
Kurz nach 11 Uhr erreichten wir die Einrichtung, in der Herrn P's Frau lebt. Vor dem Eingang gab es ein schönes Plätzchen unter einem Sonnenschirm, unter dem wir ihn mit der Trage positionieren konnten. Dann war der Moment gekommen: Seine Ehefrau kam in Begleitung des Personals heraus. Nach kurzem Zögern umarmten sich beide und waren sehr vertraut miteinander. Wir ließen dem Ehepaar etwas Privatsphäre, wurden nur zwischendurch kurz gerufen, weil Herr P. nicht mehr bequem lag, die Ehefrau eine Frage hatte oder wir ein Foto machen sollten. Nach einer knappen, gemeinsamen Stunde der beiden, in der sie über alles reden konnten, war es Zeit für den Abschied. Beide waren sichtlich mitgenommen. Aber Herr P. wirkte vor allem erleichtert und glücklich.
Als wir losfuhren, bedankte er sich dafür, dass wir ihm diesen Wunsch erfüllt habe. Er nahm noch die letzten Schlucke aus seiner Bierflasche und wirkte sehr schwach. Auf dem Heimweg baute er zusehends ab. Eine große Last schien von ihm gefallen. Doch er hatte in diesem Moment nicht mal mehr die Kraft, einen Witz zu reißen. Meine Hand hielt er während der Fahrt immer fest. Das gebe ihm Sicherheit, sagte er.
Als wir wieder in Erfurt angekommen waren, brachten wir Herrn P. auf sein Zimmer. Er war so geschafft, dass er sich direkt hinlegte. Wir verabschiedeten uns von ihm, wissend, dass wir ihn nicht noch einmal sehen werden. Er bedankte sich – mit Tränen in den Augen.
Am Sonntag nach der Fahrt ist Herr P. verstorben.